5. September 2011

Was ich von Zwangskontaktierern halte

Nicht so gut finde ich Menschen, deren Lebensinhalt darin besteht, pausenlos mit anderen in Kontakt zu treten. Prinzipiell mag ich es, wenn Leute daran interessiert sind, ein Gespräch mit mir zu führen und Dinge über mich zu erfahren, doch meine Kontaktfreudigkeit hat ihre Grenzen, beispielsweise die Türen eines Fahrstuhls.
Ich kenne niemanden, der ernsthaft von sich behauptet, dass er gerne Aufzug fährt. Erstens bereitet einem das fast immer ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend und außerdem wird beim Fahrstuhlfahren zumeist der Privatssphären-Abstand mehrfach überschritten, sodass man 10 Stockwerke mit der Nase in der Achselgegend eines stark transpierenden Menschens verbringt und sich fragt, weshalb man nicht doch lieber die Treppe genommen hat. Das letzte, was man in so einer Situation gebrauchen kann, sind Zwangskontaktierer.
Für Zwangskontaktierer ist jede Handlung ihrer Mitmenschen gleichbedeutend mit einer Einladung zur Konversation. Dazu gehört auch das Drücken des Aufzugknopfes. Gespannt warten sie darauf, in welche Etage die restlichen Insassen wohl fahren und sagen dann etwas wie: "Aha, in den vierten Stock wollen Sie also." Dabei setzen sie ein verschwörerisches Gesicht auf, weil sie nämlich ganz genau über Menschen Bescheid wissen, die in den vierten Stock fahren. Die angesprochene Person braucht nun in den meisten Fällen erst einmal ein paar Sekunden, um sich über die Peinlichkeit dieses Gesprächseinstieges zu entsetzen und versäumt es daher, den Zwangskontaktierer höflich darauf hinzuweisen, dass sowohl Ort als auch Zeitpunkt gerade nicht den richtigen Rahmen für eine Konversation bieten.
Zu den weiteren Eigenschaften eines Zwangskontaktierers gehört sein Unvermögen, die Körpersprache anderer Menschen richtig zu deuten. "Hach, jetzt schauen Sie aber entsetzt, bestimmt erwartet Sie da oben ein unangenehmer Termin, was?", fragen sie also, während sich die restlichen Fahrstuhlinsassen nun ihre Gedanken darüber machen, weshalb dieser Aufzug für lächerliche vier Stockwerke eigentlich so lange braucht. Beim Aussteigen winken einem die Zwangskontaktierer fröhlich nach, besonders unheimliche Exemplare bauen sogar noch ein Zwinkern in die Verabschiedung mit ein, schließlich hatte man gerade ein unglaublich intensives Fahrstuhl-Erlebnis miteinander, sowas schweißt zusammen, da kann man schonmal Zwinkern.
Weil ich Situationen, die mit Zwangskontaktierern in Fahrstühlen zu tun haben, lieber umgehe, nehme ich häufig die Treppe. Die Treppe benutzen nämlich eigentlich nur Sportfanatiker, welche den Wettbewerb lieben und nach der Mittagspause daher regelmäßig versuchen, schneller als die fahrstuhlfahrenden Kollegen das entsprechende Stockwerk zu erreichen. Weil das eine Menge Atem erfordert, haben sie natürlich keine Zeit für eine Kontaktaufnahme und nicken daher höchstens kurz mit dem geröteten Kopf.
An einigen wenigen Tagen sind jedoch auch Frauen im Treppenhaus anwesend, die sich in ihrer Freizeit gerne mit Diäten und Abnehmtipps beschäftigen und die gerade erst erfahren haben, dass man beim Treppesteigen viel mehr Kalorien verbrennt, als beim Aufzugfahren. Ihre Begeisterung über ihr neugewonnenes Wissen teilen sie nur zu gerne mit den Menschen in ihrer Umgebung, also mit mir, die ich unschuldig die Treppe nehme, um Zwangskontaktierern im Aufzug zu entgehen.

Manchmal sagt man besser nichts.
Vor allem in einem Fahrstuhl. via
weheartit.

 
"Nicht wahr, wir beide gehen zu Fuß!", posaunt mir eine solche Dame also ins Ohr und versucht, sich bei mir einzuhaken. Ohja, genauso ist es. Wir beide, sie und ich, wir gehen zu Fuß. Gemeinsam trotzen wir den Tücken der Treppe, Stufe für Stufe kämpfen wir uns nach oben, geeint in einer ewigen Schicksalsgemeinschaft, da kann man sich schonmal Einhaken. "Hm", mache ich und nehme den nächsten Ausgang, was nicht klug ist, denn ohne Aufzug und ohne Treppe bleiben mir für das Erreichen der vierten Etage nur reichlich wahnwitzige Möglichkeiten, die fast alle etwas mit Beamen zu tun haben.
Schlimmer als diese Art von Zwangskontaktierern sind nur solche, die bereits durchschaut haben, dass viele Menschen es nicht gut finden, immer und überall kontaktiert zu werden und deshalb ihre Gesellschaft meiden. Diese Erkenntnis ist reichlich frustrierend und führt fast immer zu Verbitterung, weshalb es das oberste Ziel dieser Leute ist, ihre Umwelt für deren Desinteresse an Kontakt zu bestrafen.
"Sie brauchen mir nicht helfen, ich komme sehr gut alleine zurecht!" brüllt ein Zwangskontaktierer mit gebrochenem Bein also in die S-Bahn hinein, noch bevor er überhaupt eingestiegen ist und bevor sich irgendjemand hätte erheben können, um ihm seinen Platz anzubieten. Die restliche Fahrt verbringt er damit, sich über die unkollegiale Gesellschaft und  über das System aufzuregen. Dabei wird er gerne polemisch. Polemische Menschen finden die meisten anderen Menschen nicht so gut. Irgendwann ist die Polemik-Toleranz bei einem der S-Bahn-Insassen also erschöpft und er bittet den Zwangskontaktierer, der damit sein Ziel erreicht hat, doch bitte etwas leiser zu fluchen. "Darf ich nicht fluchen, straft mich das Leben denn gerade nicht genug?" , will dieser nun mit bedeutungsschwerem Blick auf sein gebrochenes Bein wissen, obwohl er mit Bestrafung eigentlich meint, dass er ein ungeliebter Zwangskontaktierer ist und schaut sich fragend in der S-Bahn um, denn natürlich dürfen sich auch gerne andere Leute an der Konversation beteiligen und ihn zum Beispiel fragen, ob er einen Unfall hatte und wenn ja, welchen. Wenn niemand reagiert, steigt er resigniert an der nächsten Haltestelle aus und wartet auf die nächste Bahn, in der er kontaktunwillige Menschen bestrafen kann.
Ich persönlich habe noch keine geeignete Methode entdeckt, mit der man Zwangskontaktierer höflich aber bestimmt abwimmeln kann. Weil mein schlechtes Gewissen gerne die Bestimmer-Rolle in meinem Unterbewusstsein übernimmt und mir schreckliche Bilder von Zwangskontaktierern vor Augen führt, die alleine und ungeliebt auf einer Parkbank voller Taubenkot irgendwo in einem Problemviertel sitzen und versuchen, Kontakt mit Blumen oder Steinen aufzunehmen, übe ich mich häufig im aktiven Zuhören, mache nichtssagende parasprachliche Laute wie "Hm" oder auch "Oh" und versuche, der Situation möglichst unauffällig zu entfliehen. Über Ratgeber, die einem vorschlagen, einfach mal Nein zu sagen, kann ich leider nur müde lachen, denn selbst dann käme sehr wahrscheinlich die Nachfrage, weshalb man sich jetzt bitte so verweigere. In Zukunft werde ich mir vielleicht einfach die Handynummern von Zwangskontaktierern geben lassen und eine Art Partnerbörse betreiben. Damit mache ich bestimmt sehr viele Menschen glücklich.

2 Kommentare:

Peter hat gesagt…

Nicht ganz einverstanden : ich bin vor einiger Zeit immer gerne Aufzug gefahren (in der Arbeit in einem Krankenhaus), weil das der einzige Ort war, wo man einfach herumstehen und nicht dafür verantwortlich gemacht werden konnte, dass es so langsam ging.

Aber Du hast es so überzeugend und sympathisch beschrieben, dass man eigentlich nur zustimmen kann. Besonders das mit den "Blumen und Steinen" ist sehr nett ...

Lieblingsjunge hat gesagt…

oh wie lieb ich sehe grade die verlinkung.ich bin entzückt!!!!
Sehr nett von dir.hugs and kisses.