16. März 2013

Weshalb ich auf Reisen ging

Manchmal kann ich mir erfolgreich Dinge einreden. Als ich zehn Jahre alt wurde, schenkte mir meine Oma einen furchtbar kitschigen Wecker, er ist rosa und sieht aus wie eine Katze auf Speed. Außerdem tickt er mit der Lautstärke eines Metronoms. Es gibt zwei Dinge, die mich am Schlafen hindern, nämlich schnarchende Menschen und tickende Uhren. Während man neben meinem Bett gerne einen Subwoofer platzieren darf, müssen sämtliche Schnarcher und Uhren in einem Umkreis von vierhundert Metern weichen.
Das ist natürlich absolut unlogisch und irgendwie neurotisch. Mein Unterbewusstsein hat einfach keinen Bock auf diese Geräusche und deswegen sitze ich hellwach im Bett, sobald der Wind aus dem Nachbarhaus die Schlafapnoe des Familienvaters herüberträgt.


(Ich habe Schlafapnoe übrigens mal gegoogelt. Über die Symptombeschreibung auf manchen Seiten könnte ich mich scheckig lachen: "Warnzeichen der Schlafapnoe: Schnarchen kann eine Lautstärke erreichen, die an die Geräuschentwicklung von Pressluftbohrern heranreicht, über mehrere Räume hinweg zu hören ist und manchmal bis zur benachbarten Wohnung durchdringt."  - "Entschuldigung, aber die Lautstärke Ihres Schnarchens reicht an die Geräuschentwicklung eines Pressluftbohrers heran, ich glaube, Sie leiden an Schlafapnoe...")



Jedenfalls liebe ich den Wecker meiner Oma. Er steht direkt neben meinem Bett und er tickt noch immer fleißig. Ich habe es nämlich geschafft, mir einzureden, dass mich die pressluftbohrerartige Geräuschentwicklung dieses Zeitmessers nicht stört. Ich erinnere mich an Nächte, in denen ich mich stundenlang darauf konzentrierte, mir einzubilden, das Ticken würde stetig leiser, bis ich es nicht mehr hören konnte. Descartes hat mal gesagt, dass unsere Freiheit in dem Maße wächst, in dem die Erkenntnis über das Bessere zunimmt. Übertragen auf meine Situation habe ich also vermutlich eingesehen, dass es insgesamt besser ist, neben tickenden Uhren einschlafen zu können. Es handelt sich dabei schließlich um recht häufig anzutreffende Gegenstände und es wäre schlichtweg lächerlich, wegen etwas derartig Banalem wachzubleiben.


Leider hat der Befreiungsschlag nur für meinen Wecker ausgereicht. Das ist traurig, denn tatsächlich musste ich bereits häufig in Räumen nächtigen, in denen sich tickende Uhren befanden. Einmal habe ich voller Hass dem Wecker einer Freundin klugerweise die Batterien entwendet. Die unbezwingbare Laune meiner Psyche lässt mich also zuweilen zur Vollidiotin werden.


Dennoch bin ich häufig auch sehr glücklich darüber, wenn ich es nicht schaffe, mir Dinge einzureden. Im vergangenen Semester scheiterte ich kläglich an dem Versuch, Göttingen ohne die Anwesenheit vieler meiner ins Ausland entschwundenen Freunde gut zu finden. Deswegen konnte ich einfach nicht anders, als auf Reisen zu gehen.
Meiner Erkenntnis über das Beste im Leben hat es jedenfalls nicht geschadet.