24. November 2011

Lasst mich schlafen.

Neulich musste ich morgens sehr früh mit dem Zug fahren. Ich finde alles, was mit früh zu tun hat und mich direkt betrifft, nicht gut. Früh ist auch ein merkwürdiges Wort, nämlich eines von denen, die einem plötzlich fremd erscheinen, wenn man sie ganz oft hintereinander sagt. Früh, früh, früh, früh, früh, das klingt unnatürlich und auf jeden Fall unangenehmer als das Wort "Schlafen“. Oder das Wort „Bett“. Wenn „Matsch“ ein lautmalerisches Wort für das Geräusch ist, das bei genüsslichem Herumspringen in selbigem entsteht, dann ist „früh“ das lautmalerisches Wort für ein unglaublich ätzendes Weckergeräusch, etwa so wie ein Feueralarm oder wie der Ton, das erklingt, wenn jemand versehentlich mit nicht bezahlten Gegenständen ein Geschäft verlassen will. Und es klingt ein bisschen wie dieses bescheuerte Geräusch, was Mario Barth manchmal macht und zu dem Menschen mit Hirnabstinenz Gruppen in sozialen Netzwerken im Internet gründen und es geil finden. Zum frühen Aufstehen gibt es auch zu viele nervtötende Sprichwörter, die einem Menschen, die niemals feiern gehen und direkt nach dem Tatort das Bett aufsuchen, ab fünf Uhr morgens freudestrahlend entgegenschmettern. "Morgenstund hat Gold im Mund" beispielsweise ist in fast jeder Jahreszeit eine klare Lüge-wenn ich von November bis März um sechs Uhr morgens aus dem Fenster schaue, hat die Morgenstund primär nur lichtabsorbierendes Material im Mund, allerhöchstens mal ein mickriges Teelicht. "Der frühe Vogel fängt den Wurm" entspricht auch nur dann der Wahrheit, wenn "früh" in diesem Kontext "vor anderen Menschen" bedeutet. Vor zehn Uhr gibt es in Geschäften beispielsweise mal so gar nichts, was man irgendwie fangen könnte, weil die nämlich noch nicht geöffnet haben. Eine Ausnahme bildet vielleicht der Bäcker, wo man dem anderen Kunden triumphierend das letzte Croissant vor der Nase wegpicken kann, um bei der Vogelmetaphorik zu bleiben. Mein Ehrgeiz in Sachen Backwaren ist allerdings nur geringfügig ausgeprägt, irgendwie finde ich das auch lächerlich. Croissants sind ja jetzt keine Stipendienplätze oder signierte Beatles-Platten.
Trotzdem versuche ich Frühaufstehern mit Respekt zu begegnen. Es ist ja wissenschaftlich erwiesen, dass die Leistungskurve von Menschen ihren Hochpunkt zu sehr verschiedenen Uhrzeiten erreichen kann, Frühaufsteher können so gesehen nichts für ihren Makel, dafür muss man Verständnis haben. Wofür ich allerdings kein Verständnis aufbringen kann, sind rücksichtslose Frühaufsteher. Weil das Verlassen des Bettes zu unnatürlichen Uhrzeiten in Deutschland ein Merkmal für Leistungsbereitschaft und Charakterstärke einer Person ist, nehmen sich Frühaufsteher gerne mal was heraus. Schließlich sollten eigentlich alle um sie herum bereits so wach sein, wie sie selber. Deswegen hören sie zum Beispiel gerne laute Musik, von der andere auch was abhaben dürfen. Auf besagter Zugfahrt aß ein Frühaufsteher neben mir einen Döner. Das würde ich als nicht nett bezeichnen, weil ich finde, dass Döneressen in öffentlichen Verkehrsmitteln überhaupt nur dann erlaubt sein sollte, wenn man noch nicht geschlafen und Hunger hat und außerdem keine Croissants mag. Da bleibt einem so früh morgens ja eigentlich nur der Döner. Wenn man aber, wie besagte Person, einen knitterfreien Anzug trägt, seinem Gesprächspartner am Telefon erzählt, dass man sich so richtig fir für den kommenden Arbeitstag fühlt und Croissantkrümel auf der Krawatte eindeutig beweisen, dass da schon ein bisschen Wurmfang betrieben wurde, dann darf man keinen Döner essen. Also fragte ich den Mann, wieso er das trotzdem mache, das sei nicht sehr rücksichtsvoll. "Weil Döner geil ist!", sagte der Wurmfänger und dabei tropfte ihm ein bisschen Soße auf sein Jacket und ich musste an die Leute denken, die Mario Barth Gruppen gründen, weil das geil ist und fand den Mann doof.

ich schreib auch lieber nachts.via

 Rücksichtslose Frühaufsteher sind zum Beispiel auch Studenten, welche in Seminaren, die verrückterweise um 8 Uhr morgens sine tempore beginnen und in denen man Referate halten muss, Frage stellen, die über "Können wir das Licht dimmen?" hinausgehen. Oder Leute, die in Hotels mit recht dünnen und eventuell aus Pappe bestehenden Wänden beim ersten Sonnenstrahl ein gesungenes Gotteslob anstimmen, das von der Länge her einer Wagner-Oper hätte Konkurrenz machen können und gegen das auch Oropax machtlos waren. Vermutlich, weil Gott das so wollte, weil er gesungene Lobpreisungen, die ihn betreffen, nämlich geil findet.
Das Schwierige mit Frühaufstehern ist, dass sie nach 22 Uhr keinen Spaß mehr verstehen. Weil da nämlich auch die gesetzliche Nachtruhe anfängt und ein braver Bürger höchstens noch ein Betthuperl essen darf und dann sofort schlafen geht, weil er morgens früh raus will. Will, nicht muss. Ich, die ich allerhöchstens muss, beginne generell erst nach 10 Uhr mit den spannenden Dingen des Lebens. Darauf haben Frühaufsteher dann aber keinen Bock, weil das auch gesellschaftlich gesehen voll rebellisch ist und überhaupt entgegen des normalen Rhythmus. Also gehen sie einfach Schlafen und rufen die Polizei, wenn es zu laut ist. Ich hingegen kann nicht fremden Leuten den Döner aus der Hand nehmen und sagen "Das ist um diese Uhrzeit gesetzeswidrig!", während ich das Fladenbrot aus dem Zugfenster schleudere. Ich kann auch nicht einfach mein Seminar verlassen und stattdessen schlafen, weil das meinem Rhythmus mehr entspricht. Das finde ich insgesamt unfair. Ich plädiere daher für eine Gleitzeitgesellschaft. Freiheit für alle in Sachen Zeiteinteilung halte ich für eine eigentlich großartige Idee. Ich glaube fest daran, dass sich eine nächtliche Subkultur an Langschläfern bilden würde, die in eigenen Stadtvierteln leben könnten für die außerdem auch extra Zugabteile eingerichtet werden werden würden, in denen man prinzipiell erst zu später Stunde Dinge, die Knoblauch enthalten, essen darf.
Das einzige Problem, mit dem ich mich noch auseinandersetzen muss, stellt mein Bettnachbar dar. Der findet es nämlich ganz prima, wach zu sein, bevor die Uhrzeit ein zweistelliges Level erreicht. Weil man da nämlich noch so richtig was vom Tag hat und auch gleich anfangen kann, produktiv zu sein. Solange sich diese Produktivität in Frühstück-für-den-Spätaufsteher-machen äußert, lasse ich aber vielleicht nochmal mit mir reden.

1 Kommentar:

Herdis hat gesagt…

Sehr geil. Das würde ich so, wie's da steht, unterschreiben. Ich hab sogar schonmal weniger kuhle Seminare gemacht, weil ich es einfach nicht einsehe, vor 12 Uhr einen Fuß auf'n Campus zu setzen.
Und den letzten Punkt kenn ich auch... "Lass mal aufstehen!" "Aber wieso? Ist doch so schön und muckelig gerade." "Es ist schon 10 Uhr! Und das Wetter ist voll schön! Die Sonne scheint!" "Hm, was redest du da? Ich bin schon wieder eingeschlafen..." ;)