26. Oktober 2011

Vom Selbstmitleid und meinem Verhältnis zum Alter


Manchmal habe ich ein enormes Bedürfnis nach Selbstmitleid. In solchen Momenten ergreift mich eine mittelschwere Form der Melancholie, die ich gerne mit der Schlussszene von Scrubs oder Musik von Joshua Radin steigere, bis ich emotional zerschmettert in Embroynallageauf dem Boden liege und die unmenschliche Härte beklage, mit welcher mir mein Leben zuweilen begegnet.
Viele Menschen wollen in solchen Situationen gerne allein sein, mir aber macht Selbstmitleid eigentlich nur Spaß, wenn ich andere daran teilhaben lassen kann. "Nein, kümmere dich nicht um mich, ich komme zurecht!" , rufe ich theatralisch meinem mitfühlenden Gegenüber zu und kann mich nur schwer davon abhalten, mir dabei mit einer Hand die Augen zu verdecken, mit der anderen eine abwehrende Geste zu machen und meinen Kopf in Richtung des kalten, unwirtlichen Boden zu drehen. Weil es in unserer Gesellschaft nur echten Bad Boys wie Til Schweiger erlaubt ist, sich in solchen Momenten hart und unsensibel zu benehmen und mit einem Schulterzucken den Raum zu verlassen, sagen die meisten Menschen nun etwas wie "Auf keinen Fall werde ich dich in diesem Zustand alleine lassen! Hier ist meine Schulter, weine dich mal wieder richtig aus!" und streichen einem behutsam über den Schopf.
Mein Selbstmitleid steigert sich dann erneut, denn ich muss erkennen, dass ich charakterlich verdorben bin, dass ich die Empathie meiner Mitmenschen zur Befriedigung meines Egos ausnutze und dass das Leben mir eigentlich mit noch viel unmenschlicherer Härte begegnen sollte.
Gefangen in diesem Zustand der Schizophrenie suchte ich lange nach einem Orientierungspunkt für ein integres Verhalten meinerseits und begann, zu vergleichen. Sein eigenes Verhalten an dem von anderen Leuten zu messen, ist einerseits ziemlich einfach, auf der anderen Seite häufig aber nicht wirklich förderlich für ein charakterliches Vorankommen. Während ich nämlich äußerlich meinem Selbstmitleid frönte und mich innerlich dafür trat, stellte ich befriedigt fest, dass alle anderen eigentlich auch immer nur am Heulen sind.
Ein beliebtes Jammer-Thema ist dabei stets das Altern. Alt werden ist nicht wirklich cool, auch wenn einem dann Attribute wie "erfahren" oder "weise" oder wenigstens "wettergegerbt" zugeschrieben werden. Mit Schrecken denke ich an mein zukünftiges Ich, das verwirrt auf einem Tablet-PC herumtippt, den außer meinen Altergenossen kein Schwein mehr benutzt, während eine Pflegerin meinen Rollstuhl durch eine penibel gepflegte Parkanlage schiebt und dabei meinen Kopf tätschelt.

via weheartit

Leicht paranoid überprüfe ich regelmäßig meine geistigen und körperlichen Fähigkeiten auf erste Anzeichen des Alterungsprozesses. Unterstützt werde ich dabei von zumeist älteren Mitmenschen, die zuerst meinen Erzählungen von Schmerzen im Kniebereich und verlängerten Alkoholnachwirkungen lauschen, dann wissend nicken und schließlich etwas sagen wie: „So ging es bei mir auch los.“ Dann verlieren sie sich in nostalgischen Erinnerungen an die Zeit, in der sie noch so ein junger Hüpfer waren wie ich es nun bin, ich solle meine Jugend genießen, ab einem Alter von fünfundzwanzig Jahren begänne der stetige, absolut unaufhaltsame Verfall des menschlichen Körpers in sämtlichen Facetten, dann sei der Spaß endgültig vorbei.
„Hm“, mache ich dann und denke regelmäßig darüber nach, ob ich noch kurz zum drogenabhängigen Partytier werden sollte, solange es mir mein Körper noch einigermaßen verzeiht und mich nicht in sofortiger Konsequenz mit ledriger Haut und einer schlohweißen Haarpracht bestraft.
Gott sei Dank gibt es auch viele Menschen, die mich regelmäßig auf den Boden der Tatsachen zurückholen und mir vor Augen führen, wie jung ich eigentlich noch bin. „Was, du bist erst zwanzig Jahre alt? Da bist du kaum älter als meine kleine Schwester!“, entsetzte sich neulich ein Freund meiner besseren Hälfte, als sei ich damit noch nicht befähigt, vollständige Sätze von mir zu geben um meinen Bedürfnissen Ausdruck zu verleihen. In diesen Situationen würde ich stets gerne eine komplizierte turnerische Übung vorführen, um die unglaubliche Elastizität meines jugendlichen Körpers zu demonstrieren und um anschließend mit herausfordernder Stimme zu sagen: „Ganz recht, so ist es. Schau her, wie jung und agil ich bin!“
Leider findet mein Knie komplizierte turnerische Übungen aber nicht so sympathisch. Und außerdem soll man sich ja stets nur als so alt bezeichnen, wie man sich fühlt. Da ich in fünf Jahren fünfundzwanzig werde und damit rechnen muss, ab diesem Zeitpunkt ein freudloses Dasein zu fristen, seufze ich also stattdessen schwer und schweige. In solchen Momenten wäre es dann auch wieder Zeit für ein bisschen traurige Musik und die Embryonallage.

1 Kommentar:

Herdis hat gesagt…

Sehr kuhler Text :)
Als ich 20 war, hab ich auch über's Älterwerden gejammert. Ich hatte meine erste Midlifecrisis an meinem 20. Geburtstag.
Jetzt bin ich 23, habe vor einigen Wochen mein erstes graues Haar entdeckt, bin vor kurzem zum 4. Mal innerhalb von 3 Jahren umgezogen und denk mir so... Ich freu mich auf mehr. Ich hab keine Angst mehr vor'm Alter. Ich freu mich drauf. Ich freu mich drauf, in 20 Jahren oder so in den Spiegel zu schauen und festzustellen, dass ich bis dahin sehr viel gelacht habe. Aber ernsthafte Angst? Fehlanzeige ;)