3. Februar 2014

Weshalb ich gerade nicht gut mit mir selbst auskomme.


Ich muss sagen, dass ich etwas Mitleid mit Jordanien habe. Amman ist gerade vollgestopft mit jungen, aufstrebenden Mittelschichtskindern, die fast alle Politik oder was mit Middle East studiert haben und eigentlich lieber woanders wären. In Damaskus zum Beispiel, oder in Beirut, oder in Kairo, jedenfalls nicht in Amman, hier ist es langweilig, nur Wohngebiete, keine Pyramiden, keine guten Partys und die Preise, die Preise, ich meine, vier Dinar für Cornflakes, die spinnen ja, etc.

Natürlich ist das übertrieben. Amman ist gar nicht so übel. Jordanien an sich schonmal gar nicht. Die Leute hier sind unwahrscheinlich freundlich. Außerdem kann man auch ein halbes Jahr ohne Cornflakes zum Frühstück überleben. Weil wir aber alle im Westen von Amman wohnen, der überdurchschnittlich wohlhabend ist und wo die meisten Menschen lieber Englisch statt Arabisch sprechen, haben wir uns eine gewisse Anspruchshaltung zugelegt, für die ich mich hin und wieder ohrfeigen möchte. Neulich habe ich im Supermarkt Seitenbacher Müsli entdeckt. Seitenbacher. Die mit der Radiowerbung, über die man sich immer aufregt. Ich kann mir keine deutschere Müslimarke vorstellen und dann stehe ich in Jordanien im Supermarkt und sehe diese Packung und darüber hängt ein Schild, auf dem "Imported for you" steht.

Ich war empört. Und zwar auf diese Art, wie man als junges, aufstrebendes Mittelschichtskind, das Politik studiert hat und jetzt in Amman einen Sprachkurs macht, empört ist.
Ich habe ein Foto mit meinem Smartphone von dem Aufkleber gemacht und es sofort an mehrere Menschen geschickt. Ich habe Ernsthaft? oder so geschrieben, jedenfalls irgendetwas, das implizierte, wie sehr ich mich darüber aufrege, dass viele Menschen in diesem Land von Tee und Weißbrot leben und dieser Supermarkt nichts Besseres zu tun hat, als Biogenerations-Müsli aus Deutschland zu importieren. Und dann auch noch dieses dämliche Schild. Es kamen Antworten zurück, die eine ähnliche Haltung wie die meine zum Ausdruck brachten und dann ging ich an die Kasse und bezahlte meine Einkäufe.
 


Ja, das ist jetzt wieder einer von diesen Texten, in denen darüber sinniert wird, was für eine scheinheilige Generation wir sind, weil wir immer nur reden und uns aufregen, aber nichts machen, wie in dem Video, was neulich meine Timeline verstopft hat und was ich mir aufgrund der Internetsituation leider erst anschauen konnte, als sich alle schon darüber ausgekotzt hatten. Ich habe den Hype nicht verstanden, weil das ja eigentlich alles Dinge sind, die wir schon lange wissen. Wir wissen, dass es Dinge gibt, die ungerecht sind. Und Dinge, die geändert werden müssten. Und wir wissen auch, dass wir auf jeden Fall zu denen gehören, die etwas daran ändern könnten. Weil wir die Ausbildung genossen haben, weil wir irgendwo auch die finanziellen Mittel haben und weil wir genügend Leute kennen, denen es ähnlich geht.

Hier in Jordanien gibt es ganz viele Leute, die in NGOs arbeiten. Viele von diesen Organisationen versuchen, den Flüchtlingen aus Syrien zu helfen. Von einer wurde ich gefragt, ob ich Lust hätte, sie bei einer Verteilungsaktion zu unterstützen. Ich bin also in eine Stadt etwas südlich von Amman gefahren und habe mit ein paar Freunden Spielsachen an syrische Kinder verteilt. Gleichzeitig sollten wir in Erfahrung bringen, wie es den Flüchtlingen vor Ort geht, welche Dinge sie dringend benötigen, und so weiter. Dabei sollten wir darauf achten, keine Fragen zu stellen, die einen gedanklichen Rückgriff auf traumatische Erlebnisse in der Vergangenheit erfordern würden. Wir fragten also nach Wünschen, Hoffnungen, Traumberufen.

Schon bei der ersten Familie haben wir gründlich daneben gelangt. Die Frau sah uns verständnislos an und sagte, dass alles, was sie sich im Moment wünsche, eine Rückkehr nach Syrien sei. Und dass sie überhaupt keine Hoffnung habe, dass dies in naher Zukunft passieren würde. Und dass ihr Mann in Ägypten lebe und nicht zu ihr gelassen werde. Und dann fing sie an zu weinen und wir standen daneben und wussten nicht, was wir tun sollten. Weil wir uns natürlich nicht vorstellen konnten, wie das ist. Weil wir alle wussten, dass wir am Abend wieder in Amman sein würden und dass wir irgendwann im Frühling wieder zurück nach Deutschland oder England fliegen und dann einen Master machen oder vielleicht noch eine Sprache lernen.

Und natürlich ist das nicht als Vorwurf gedacht. Es macht keinen Sinn, sich ständig schuldig zu fühlen, weil man ist, wer man ist. Oder weil man sich doch einmal im Monat die Cornflakes zum Frühstück leistet. 

Irgendeine Konsequenz sollte man wohl ziehen. 
Ich habe aber keine Ahnung, welche. 
Ich weiß nicht, ob ich einfach aufhören sollte, mich zu empören. 
Weil ich damit ohnehin nichts Konkretes ändern werde. 
Weil es mir heuchlerisch erscheint, mich aufzuregen, denn es erfordert keine größere Anstregung von mir und es hat keine Folgen für mich, außer die Gewissheit, zumindest mal drüber nachgedacht zu haben. 
Meine Art von Empörung bringt niemandem etwas, außer mir selbst.

In diesem Moment sitze ich in einem Cafè, es läuft Alt-J und neben mir sitzen zwei Amerikanerinnen, die für eine Flüchtlings-NGO arbeiten und sich gerade ungelogen über die Kino-Preise in Amman aufregen. Ich denke mir das nicht aus. 
Und ich habe keine Ahnung, wie ich mich deswegen jetzt fühlen sollte, geschweige denn, wie ich mich verhalten soll.

3 Kommentare:

Sofia K. hat gesagt…

Hey, Hanni! Schöner Artikel. Mir geht's ähnlich, auch wenn ich nicht in Amman bin. Ich fühle mich einfach machtlos und entkräftet dadurch, dass z.B. die Menschen sich eher für das Dschungelcamp interessieren, als für das, was wirklich in der Welt vor sich geht (wie das TTIP, was WIRKLICH in der Ukraine passiert, etc.), die Medien, die diese Menschen manipulieren etc.

Man ist unfassbar empört und zerrüttet, findet aber keinen Ansatzpunkt, von dem man irgendwie sinnvoll arbeiten könnte, um Zustände zu ändern, kaputte Systeme auch heirzulande mal zum Fall zu bringen u.Ä. In diesem Zustand der Empörung zu verharren ist kräftezehrend und anstrengend.
Nichtsdestotrotz sollte es etwas sein, das wir uns behalten sollten, auch wenn es schwer fällt es mal auszublenden und es einem viele ruhige Minuten raubt - dieses Gefühl zeigt, dass man sich eben Gedanken um Menschen und Zukunft macht, dass man etwas ändern will und dass man ehrgeizig ist.
Vielleicht findet dieser Drang jetzt keine perfekte Anwendung oder man macht mal Fehltritte. Aber ich persönlich finde diese Eigenschaft fast tugendhaft gegenüber der Gleichgültigkeit und Politikverdrossenheit, die sonst hierzulande herrscht.

Besten Gruß aus Hamburg,

Sofia

Anonym hat gesagt…

Hallo Hannah,

ich finde toll, dass Du voller Tatendrang bist und Deine Erfahrungen in Amman festhältst. Andere Länder sind mittlerweile total Mainstream, deshalb ist es richtig cool, dass Du in Jordanien bist - yeah! Noch bemerkenswerter ist, dass Du deine linken Ideale auch im Ausland durchzusetzen versuchst - echt prima!

Du beschwerst Dich also darüber, dass es in Amman möglich ist, deutsches Müsli zu erwerben während die restliche Bevölkerung von Tee und Weißbrot lebt?

Da Du Politikwissenschaften studierst und daher wahrscheinlich nur schwer von irgendwelchen linken Moralvorstellungen abweichen kannst, versuche ich Dir dennoch zu erklären, dass dieser Supermarkt als autonomer Gewerbetreibender keinerlei Verbindung zu der offensichtlichen Armutssituation in Amman hat. Ja, ist wirklich so!

Klar, der böse Supermarkt könnte auch Dir und den anderen weißen Mittelschichtskindern ebenfalls ausschließlich Toast und Tee verkaufen und von dem überflüssigen Geld in den ärmeren Gegenden von Amman eine Runde drehen und jedem etwas Geld geben.

Aber so, liebe Hannah, funktioniert die Welt nicht. Ich finde es großartig, dass ein Supermarkt in Amman versucht den Kundenwünschen gerecht zu werden und daher Spezialitäten aus verschiedenen Ländern importiert. Was ist verkehrt daran, ein Stückchen Heimat zu haben, wenn man fernab von zuhause lebt?

Warum beschweren? Du könntest genauso gut einfach am Regal vorbeigehen und Toast/Tee kaufen um "the real life" zu leben. Du könntest ferner auch entweder

1) deine Wohnung ärmeren Jordaniern anbieten

oder

2) selber in ärmeren Gegenden nach einer neuen Wohnung schauen. Da gibt's dann sicherlich auch kein deutsches Müsli im Regal aber bestimmt viele andere spannende Dinge!

Anonym hat gesagt…


Damit Du vielleicht trotzdem irgendwann nachvollziehen kannst, warum der Supermarkt nicht böse ist, kommt hier eine weitere Lektion:

Nachfrage bestimmt das Angebot.

Das hast Du ganz sicher schon mal gehört.

Falls kein Kunde Interesse an einem solchen Produkt hätte, würde es nicht mehr lange im Supermarkt stehen. Also ist nicht zwangsläufig der böse Supermarkt, sondern möglicherweise eine deutsche Mittelstandsfamilie der "Schuldige", weil sie unbedingt das Müsli essen wollen - solche Kulturbanausen, warum essen sie nicht einfach den ganzen Tag Weißbrot? Ich kann mir vorstellen, dass Dich das ganz doll wütend macht. Also halten wir fest: die Armutssituation in einem Land korreliert nicht mit einem autonomen Supermarkt.

Aber vielleicht schätze ich Dich auch einfach nur falsch ein.

Vielleicht gehst Du ja tatsächlich auch in Deutschland in die Supermärkte und fotografierst die Taco-Abteilung aus Mexiko oder den türkischen Spezialitätenhändler im Real und beschwerst Dich dann gleichermaßen darüber, dass die Kinder in Berlin-Neukölln keine warmen Mahlzeiten bekommen, während die Wohlstandsrussen in Düsseldorf Borschtsch in der Dose kaufen können.

Aber bevor Du darauf vorschnell antwortest - auch hier wieder der Hinweis, dass ein autonomer Supermarkt nichts mit Armutsverhältnissen im Staat zu tun hat.

Also liebe Hannah, berichte doch einfach über die Schönheit des Landes oder sonstige Erfahrungen. Aber nerv doch bitte nicht die Familien im Ausland, die sich darüber freuen, ein Stückchen Heimat im fernen Jordanien zu besitzen.

Und @Sofia: Meine Güte, lass die Leute doch das Dschungelcamp gucken. Wenn Du dich für die Probleme der Welt interessierst, pack Deine Sachen und zieh los um anzupacken. Aber sei doch bitte so freundlich und zwäng niemandem dein Gedankengut auf.

So Ihr zwei lieben WeltverbesserINNEN, ich wollte mit diesem Text nur mal stellvertretend für alle normaldenkenden Menschen klarstellen, dass man auch dann ein glückliches Leben führen kann, wenn man seine Mitmenschen einfach so leben lässt, wie sie wollen. Denn prinzipiell finde ich es klasse, dass man versucht auf Disparitäten aufmerksam zu machen.

Aber dann bitte nicht irgendwas aus den Haaren ziehen und einen Supermarkt als schlecht darstellen, nur weil er seinen Kundenwünschen gerecht wird.

Also noch einen schönen Auslandsaufenthalt!