26. August 2013

Mein Leben sollte langweiliger sein.

Seit geraumer Zeit habe ich selten Lust, mir über Texte Gedanken zu machen. Das ist schade, denn ich bilde mir ein, zuweilen ganz heitere Dinge zusammenzuschreiben. Wenn mich Menschen fragen, wieso ich eigentlich nicht mal wieder einen Schwank aus meinem Leben erzähle, antworte ich, dass ich momentan einfach ein bisschen im Stress bin. Das kann jeder verstehen, schließlich bin ich Bachelorstudentin und kenne das Wort Freizeit nur vom Hörensagen. Und außerdem ist mein Gegenüber auf jeden Fall gerade auch im Stress und dann führen wir ein Gespräch, in dem wir uns gegenseitig bemitleiden.

Neulich bin ich mit meiner Familie in die Schweiz gereist. Da ich mich sehr lange nicht mit der Urlaubsgestaltung meiner Eltern identifizieren konnte, war das eine Art familiäres Feldexperiment. Insgeheim glaube ich, dass meine Schwester vor allem nicht mitgekommen ist, weil sie meine Eltern nicht zusätzlich belasten wollte. Wenn man seine ehemaligen Erziehungsberechtigten jahrelang auf eine Freizeitplanung zu viert konditioniert hat, sollte man sie nicht plötzlich den Widerworten eines dritten Sprösslings aussetzen. Außerdem haben meine Eltern einen Hund. Ich glaube, dieser Hund ist in den letzten Jahren als eine Art Ersatz für die an Festivals und Städtereisen verlorene Tochter eingesprungen. Hunde finde ich nicht gut, aber man muss sagen, dass sie im Gegensatz zu einem mosernden Kind vermutlich der angenehmere Reisepartner sind (obwohl man von mir jedenfalls nicht ständig Exkremente von der Straße aufsammeln muss - ja, der Diss geht raus an dich, mein felliger Freund). Als gute Tochter wollte ich also stets mindestens so nett wie der Hund sein. 

Jedenfalls sind wir in ein sehr ruhiges Ferienhaus gereist, von dem aus man den Mont Blanc und den Neuenburger See und andere friedlich stimmenden Dinge sehen konnte. Die Besitzer des Hauses waren schrecklich nett und wollten offenkundig ihren Weinbesitz drastisch verkleinen, weshalb sie ihn fleißig mit uns teilten, auch dann noch, wenn wir sehr auffällig gegähnt haben. Schweizer sind da unerbittlich. Man sollte nie einem Schweizer ein Weinglas zurückschieben, das er einem mit den Worten "Vive la Suisse" eingeschenkt hat. 

Ich bin mir noch nicht sicher, ob man beim Langweilen Musik hören sollte, aber dieses Lied eignet sich jedenfalls ganz wunderbar für Momente des Nichtstuns.

Natürlich sind wir viel gewandert und ich habe mich sehr alt gefühlt, weil ich voller Begeisterung mitwanderte. Früher war Wandern mein persönliches André Rieu-Konzert. Ich habe auch ein bisschen Angst, dass ich in weiteren zehn Jahren plötzlich eine praktische Jack-Wolfskin-Jacke besitzen will. Außerdem haben wir uns Städte angeschaut. In Genf sind wir durch den Palast der Nationen gelaufen und ich habe mich vor meinem inneren Auge als zukünftige Diplomatin durch die Gänge wandeln sehen und wollte mich wie so ein schlimmer Tourist im Sitzungssaal für ein Foto an den Platz meines Lieblingslandes setzen, habe es dann aber doch gelassen.

An manchen Tagen haben wir gar nichts gemacht. Das hielt ich für Zeitverschwendung. Als an straffe Exkursionsplanungen, zeitlich begrenzte Kunstausstellungen und unerbittliche Running Orders gewöhnte Urlauberin hatte ich kein Verständnis für das Herumgammeln auf Liegestühlen. In solchen Momenten war ich nicht so nett wie der Hund. Es könnte sein, dass ich des Öftern das Wort "alt" habe fallen lassen. Natürlich haben sich meine Eltern aber trotzdem nicht erhoben. Mein Bruder hat sie dabei auch noch unterstützt. Vom Tier will ich erst gar nicht anfangen. Also lief ich laut seufzend durch das Haus, ließ mich mal hier, mal dort in einen Stuhl fallen und schaute gequält.Weil mich das einzige Buch, das ich mitgenommen hatte, schon nach wenigen Seiten nervte (Danke an Henry Miller, der mir auf eindrucksvolle Weise verdeutlicht hat, dass sich das Wort Möse problemlos in jeden zweiten Satz einfügen lässt, ich fühlte mich nicht provoziert), saß ich an diesen Tagen meist herum und starrte in die Ferne.


Man könnte sagen, dass ich mich in diesen Momenten zum ersten Mal seit langer Zeit heftig gelangweilt habe. Das lag vor allem daran, dass ich keinen Internetzugang hatte, der mir normalerweise über diesen Zustand hinweg hilft. Während ich auf den Mont Blanc schaute und sonst gar nichts tat, sind mir aber ziemlich viele gute Sachen eingefallen. Vor allem bin ich zu der Erkenntnis gelangt, dass ich mich häufiger zur Langeweile zwingen sollte. Weil ich dann nämlich auch nicht immer denken würde, dass ich im Stress sei. Tatsächlich verbaue ich mir meine freie Zeit nämlich lediglich, weil ich keine Lust habe, unterbeschäftigt zu sein. Dabei muss man sich natürlich eigentlich viel stärker mit Nachdenken beschäftigen, wenn man nicht gerade versucht, die witzigste Grumpy Cat ever zu finden. Ich bin also paradoxerweise zu faul zum Langweilen. 

Weil ich bald meine Bachelorarbeit schreiben will, schätze ich, dass es ziemlich sinnvoll wäre, mir mindestens eine Stunde reine Langeweile am Tag zu verordnen. Ich bin relativ gespannt, ob mein Hirn mit so viel unverhofftem Raum zum Denken überhaupt klarkommt.

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